Faeser lehnt Abschiebung von Vergewaltiger nach Afghanistan ab

Von Ibrahim Naber
Chefreporter

Stand: 09.12.2022 | Lesedauer: 4 Minuten

Vor drei Jahren wurde eine 14-Jährige in Illerkirchberg von Asylbewerbern vergewaltigt. Ein verurteilter Afghane kam inzwischen frei. Baden-Württemberg will ihn und islamistische Gefährder abschieben - doch Faesers Ministerium lehnt das ab. Dies zeigen Dokumente, die WELT vorliegen. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD)
Quelle: pa/photothek/Leon Kuegeler

Der Umgang mit schweren Straftätern und Gefährdern aus Afghanistan hat einen Streit zwischen dem Land Baden-Württemberg und der Bundesregierung ausgelöst. Justizministerin Marion Gentges (CDU) hat Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) in Bezug auf konkrete Fälle persönlich aufgefordert, Abschiebungen "schnellstmöglich" zu ermöglichen. Dies geht aus Schreiben des Justizministeriums an Faeser hervor, die WELT vorliegen.

"Ich halte es für unabdingbar, dass Abschiebungen nach Afghanistan von Gefährdern und Personen, die schwere Straftaten begangen haben, zügig wieder aufgenommen werden", hält Gentges in einem Schreiben vom 17. Oktober 2022 fest. Seit der Machtübernahme der Taliban führt die Bundesregierung keine Rückführungen mehr nach Afghanistan durch.

Ausschnitt aus dem Schreiben an Faeser
Quelle: Ibrahim Naber

Hintergrund des Streits ist auch ein Fall aus Illerkirchberg, wo am Montag zwei Mädchen niedergestochen wurden. Der mutmaßliche Angreifer ist Eritreer. Schon 2019 war es in der schwäbischen Gemeinde zu einem schweren Gewaltverbrechen gekommen. Damals vergewaltigten vier junge Männer aus Afghanistan und dem Irak eine 14-Jährige in einer Asylunterkunft mehrfach. Laut Anklage hatten sie die Teenagerin zuvor durch Betäubungsmittel wehrlos gemacht. Für die Taten wurden sie 2021 jeweils zu rund zweijährigen Haftstrafen verurteilt.

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Einer der verurteilten Afghanen ist seit Ende März 2022 wieder frei und lebt in Baden-Württemberg. Dokumente des Justizministeriums zeigen, wie intensiv sich die Behörden auf Landesebene um eine Abschiebung des Mannes bemühten - aber von der Bundesregierung ausgebremst wurden.

Trotz Rückfallgefahr: Abschiebung scheiterte

Der Afghane war bereits am 20. Mai 2021 ausgewiesen worden und kam Anfang 2022 aus der Strafhaft in die Abschiebungshaft. Die Polizei sehe bei ihm eine "Rückfallgefahr für Sexualstraftaten zum Nachteil unbekannter junger Frauen", warnte der baden-württembergische Justizstaatssekretär Siegfried Lorek (CDU) in einem Schreiben an das Bundesinnenministerium kurz vor Weihnachten 2021. Schon damals forderte das Land die Bundesregierung auf, Abschiebungen nach Afghanistan in Einzelfällen wie diesem wiederaufzunehmen.

Lorek führte auch die bevorstehende Entlassung eines anderen Afghanen in Baden-Württemberg an, den Sicherheitsbehörden als islamistischen Gefährder im Hochrisikobereich einstufen. "Aufgrund vorliegender Radikalisierung und deutlicher Gewaltbereitschaft ist mit Anschlagsplanungen zu rechnen", heißt es in dem Dokument.

Doch in beiden Fällen ließ die Bundesregierung das Land abblitzen. Auf Anfrage teilt das Justizministerium Baden-Württemberg mit, dass Faeser das aktuelle Schreiben von Justizministerin Gentges bislang unbeantwortet ließ. Auf Fachebene sei jedoch mitgeteilt worden, dass weiterhin keine Abschiebungen nach Afghanistan möglich seien.

Faesers Ministerium bekräftigt diesen Entschluss auf WELT-Anfrage: "Mit dieser Entscheidung trägt der Bund dem Umstand Rechnung, dass Abschiebungen weder für die Rückzuführenden, noch für die Begleitkräfte und die Flugzeugbesatzung zur Gefahr werden dürfen", teilte ein Sprecher mit. Voraussetzungen für die Wiederaufnahme von Abschiebungen seien eine stabile Sicherheitslage und "Garantien für eine gesicherte Umsetzung von Rückführungen unter der afghanischen de-facto-Regierung".

Auch nach Syrien finden weiterhin keine Abschiebungen aus Deutschland statt. Dabei verweist die Bundesregierung auf den andauernden Krieg und die beschränkten diplomatischen Beziehungen zum Regime von Baschar al-Assad. Sicherheitspolitisch hat das für deutsche Behörden Konsequenzen: Ende 2020 registrierte die Bundesregierung 240 islamistische Gefährder, die auf freiem Fuß sind. Darunter befanden sich 41 Syrer. Gefährdern traut die Polizei jederzeit politisch motivierte Straftaten - also auch Anschläge - von erheblicher Bedeutung zu.

WELT hat auch Vertreter anderer Parteien um Stellungnahmen gebeten. "Gefährder*innen und verurteilte Straftäter*innen können nach jetzigem Stand nicht nach Syrien und Afghanistan abgeschoben werden", teilte Lamya Kaddor, innenpolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, mit.

Die FDP will sich den Entschluss offenhalten: "Für die Entscheidung, ob im Einzelfall nach Syrien und Afghanistan abgeschoben werden kann, brauchen wir zunächst eine valide Bewertung aus den noch ausstehenden neuen Lageberichten des Auswärtigen Amtes", sagte Manuel Höferlin, innenpolitischer Sprecher der Fraktion. Hilfe für Menschen, die vor Krieg fliehen oder Arbeit suchen, sei wichtig. "Straftäter hingegen wollen wir konsequent abschieben."

Dass Behörden daran oft scheitern, hat der Bürgermeister von Illerkirchberg nun mehrfach erlebt. Markus Häußler (parteilos) zeigt sich einigermaßen fassungslos, dass der verurteilte Vergewaltiger von 2019 nun wieder in Freiheit lebe. Auch aufgrund seiner Bemühungen habe das Land Baden-Württemberg alles versucht, den Straftäter abzuschieben. Ohne Erfolg. Häußler: "Das ist eine Blamage für unseren Rechtsstaat."


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